Prof.
Dr. Ahmet ÝNAM |
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BIST DU NIETZSCHE? EIN AUFSCHREI AUS DER TIEFE, DER Prof.
Dr. Ahmet ÝNAM Das Nichts ist allgegenwärtig. Es existiert seit jeher. Und es wird zusammen mit dem Menschen weiterexistieren. Denn das Nichts ist inmitten der Existenz, weil es die Existenz selbst ist. Wir mögen Existenz im Sinne von Heidegger verstehen, oder als etwas, das von uns unabhängig ist, oder als eine Realität, die auch uns umfaßt: Aus ihr klingt die geheime Stimme des Nichts. In der Stimme, die von dorther kommt, verbirgt sich ein unhörbares Schöpfungs- und Vernichtungspotential, das jedem philosophischen >>Was bin ich<< verschlossen ist. Heidegger führte die Existenz auf unsere Vergeßlichkeit zurück. Auch das Nichts haben wir vergessen, das Nichts, das in der Tiefe der Kultur, der menschlichen Schöpfungen und der sozialen, ethischen und künstlerischen Beziehungen ruht. Das Nichts: Oberflächlich betrachtet ein Bedeutungsverlust, die Bedeutungslosigkeit der gültigen Normen und Werte. Das heißt nicht, zu letzteren >>Nein<< zu sagen, denn in dem >>Nein<< steckt ja schon eine Norm. In Wirklichkeit ist man Normen und Werten gegenüber gleichgültig. Die Absenz jeglichen Strebens, jeder Abhängigkeit. Die erlebte Leere. Ein Abgrund. In der Wissenschaft, in der Kunst und in der Routine des alltäglichen Lebens haben wir die Entdeckung der Existenz erlebt, ohne das dahinterliegende Nichts zu verstehen. Weder die Normalität der Wissenschaft, des tiefen Nachdenkens oder des alltäglichen Lebens, noch das ermattende Feuer einer Kunst, die die Metaphysik vergessen hat, konnte uns an das Nichts heranführen. Nun reden wir über eine Kultur des Post-Nihilismus. Die Werte sind tot. Was wird aus uns, wenn sie sterben? >>Gott ist tot!<< So sagt Nietzsche. Soweit gut - ist aber auch das Nichts gestorben? Hier verstehe ich nun unter dem Nichts (dem Nihil) etwas anderes, als wir aus der Metaphysik gewohnt sind. >>Nihil<< ist eine treibende Kraft. Ein Feuer. Genauer gesagt, wir erleben das Nihil als Bestandteil der Existenz in dieser seiner Erscheinungsweise. Das Feuer
des Heraklit, ein Nichts, eine zweischneidige Energie: Sie kann sowohl
vernichten als auch erschaffen. Die Grundwerte ändern sich, verschwinden.
Unsere Grundfesten werden erschüttert. Die vertraute Oberfläche der Vernunft
und des gesunden Menschenverstandes gerät ins Schwanken und läßt uns an
das Nichts denken. Beim alltäglichen Fall in das Nichts bemerken wir nicht,
daß wir fallen. Wir können das Nichts nicht sehen, wir bringen es zum
Verschwinden, wir leben im Banalen. Das Potential des Nichts eröffnet
sich uns nicht. >>Gott ist tot<< ist für sich allein genommen
unsinnig: Wenn die Grundwerte vergangen sind, so haben sie auch das Nichts
mit sich genommen. Die Nicht-Existenz des Nichts hat in uns die Überzeugung
erweckt: Wir leben, indem wir das Nichts entdecken und in unserem Leben einen Platz einräumen. Unsere Haltung gegenüber dem Nichts: Wir schaffen und leben. Was aber, wenn wir unsere Schöpfungen für sinnlos halten und uns auf diese Weise vernichten? Wenn wir das Nichts in uns nicht überwinden können? Wohlauf! Laßt uns schaffen! Wir haben nur diese Hoffnung: den Willen zum Schaffen, im Verein mit dem Nichts zu schaffen, indem wir erkennen, wie das Nichts mit unserem Leben verwoben ist. Werte verändern sich, Glaubenssysteme können radikale Erneuerungen erfahren, und traditionelle Werte gewinnen mit einer Neu-Interpretation an Kraft. Aber der mit dem Nichts konfrontierte Mensch wird erkennen, daß der zum Schaffen verurteilt ist. Die Beziehung zum Nichts wird die Beziehung zum Schaffen sein. Wer das Nichts nicht gelebt hat, wer eine kulturelle Existenz verinnerlicht, die von dem inneren Nichts nichts weiß, der wird in dieser Welt nicht heimisch werden können. Er wird immer ein neues rettendes Ufer suchen. Er wird sich an einer der Strömungen festklammern, er wird verwelken und vergehen. Meine Kultur, die tiirkische Kultur, ist seit langen Jahren gegenüber dem Westen auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Diese Suche betrifft technologische Aspekte, hat ihren Schwerpunkt in marktwirtschaftlichen und pragmatischen lnteressen und ist weit entfernt von Gedanken, die die Tiefe der Metaphysik berühren. Einen Anschluß an den Westen betrachtet man nur in materieller Hinsicht. Nötig ist indessen eine geistige Suche, die das auf der Metaphysik beruhende Nichts auf den Begriff bringt. In meiner Kultur gibt es keine Nietzsches. Die Nietzsches werden kommen und uns das Nichts, die Vielfalt des Nichts zeigen. Sonst werden wir die Gefangenen billiger Lösungen und seichter Nachforschungen. Überlegungen, die unter Nicht-Beachtung des Nichts angestellt werden, bringen das Nichts in uns in Aufruhr. Die schopferische Kraft des Nichts wandelt sich dann in eine zerstörerische Kraft. Entweder vernichten wir uns selbst, oder wir werden die Gefangenen einer fremden Kultur. Die Welt wird weiterhin aus einem bunten Mosaik unterschiedlicher Kulturen bestehen. Diejenigen, die diese Verschiedenheit vernichten wollen, die Fanatiker, die das Nichts zum Verschwinden bringen, die wie keine Grenzen kennende Rauschgiftsüchtige sind, werden alle Grundlagen, die Kunst, Wissenschaft und Philosophie dieser Welt - kurz um, das Leben vernichten. Dies sagt das Nichts in uns. Mein Wunsch, den ich in diesem kurzen Artikel zum Ausdruck bringen möchten, ist der, daß in historischer Verantwortung und in Erkenntnis des an allen Kulturen teilhabenden Nichts ein allgemeiner und kontinuierlicher Wunsch lebendig bleibt, rniteinander zu kommunizieren, einander zuzuhören und gegenseitig an dieser Welt teilhahen zu lassen. Im Sinne Nietzsche's, die ewige Wiederkehr ist das Nichts. Verbleibt uns die Hoffnung, in einer Welt zu Ieben, in der das Nichts, ein Aufschrei in der Unendlichkeit des Universums, seinen Platz einnehmen kann.
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